Weshalb die Zukunft des Schweizer Journalismus cool wird
Wohin steuert die Schweizer Medienindustrie? Das diskutierten die Medienschaffenden, Journalistinnen und Fachleute an der Konferenz «Medien im Wandel» anlässlich der 96. Generalversammlung des SFJ-AJS. Topexperten und die zukünftige Co-Chefin von OnlineReports gaben Einblicke in die Zukunft des Mediengeschäfts.
Von George Sarpong, SFJ-Vorstandsmitglied, Ressort Bildung
Wie modernisiert man ein lokales Online-Medium? Und vor allem: weshalb? Wird die schreibende Zunft durch Systeme mit künstlicher Intelligenz ersetzt? Und wie unterstützt die Politik die Schweizer Medienbranche? Antworten lieferten drei Topshots der heimischen Medienindustrie an der Konferenz «Medien im Wandel», an der 96. Generalversammlung des Verbands Schweizer Fachjournalistinnen und Fachjournalisten (SFJ-AJS).
«Mit ChatGPT erleben wir einen iPhone-Moment»
Das Spannende am Medien-Business ist seine laufende Veränderung. Aktuell ist es die sogenannte künstliche Intelligenz (KI), die Journalistinnen, Redaktoren und Verlegerinnen umtreibt. Was machen Machine-Learning-Systeme mit unserem Berufsstand? Wer braucht den Journalismus noch, wenn ChatGPT Nachrichten generieren kann? Antworten lieferte Timo Grossenbacher. Der Leiter Newsroom Automation bei Tamedia ist aktuell einer der Schweizer Top-Experten in Sachen KI und Journalismus. In seinem Vortrag unterstrich er die besondere Bedeutung der Technik für die Branche. «Wir erleben einen iPhone-Moment», machte Grossenbacher den Gästen klar.
Tamedia entwickelt KI-Werkzeuge für den Newsroom
Derzeit experimentiere die Medienbranche intensiv und hinterfrage die Entwicklung kritisch. Bei Tamedia selbst arbeitet man daran, den Journalistinnen und Journalisten den beruflichen Alltag zu erleichtern, indem man repetitive und fehleranfällige Aufgaben automatisiert. Ein Beispiel ist das selbst entwickelte KI-System «Teaser-Tool», das die Redaktion beim Texten von Leads und Einleitungen unterstützt. KI werde den Journalismus nicht ersetzen, aber bestimmte Aufgaben vereinfachen und die Fachkräfte entlasten. Grossenbacher vermutet, dass traditionelle Suchmaschinen in Zukunft durch Konversationen mit einem Machine-Learning-System à la ChatGPT ersetzt werden könnten. Das verändert womöglich den Traffic für News-Portale. Der Verlust von Suchmaschinen-Traffic für Verlage könnte allerdings durch Monetarisierung von Inhalten für ChatGPT und etwaige künftige Mitbewerber kompensiert werden.
Wie sich das Jobprofil der Journalistin verändert
Die Zukunft des journalistischen Berufsstands könnte die Gilde der «Merchants of the Truth» sein. Das eröffne neue Geschäftsmodelle, wie etwa Nachrichtenangebote mit 100 Prozent KI-freien Inhalten. Grossenbacher ermutigte zum Experimentieren und zur Anpassung an die Veränderungen. Damit die Branche nicht den nächsten iPhone-Moment verschlafe.
Online-Reports – die nächste Generation übernimmt
Das Basler Nachrichtenportal OnlineReports gilt als Pionier des Schweizer Online-Journalismus. Nach 25 Jahren übergibt Gründer Peter Knechtli per 1. Juli 2023 sein Lebenswerk an Jan Amsler und Alessandra Paone. Durch die Übernahme haben Amsler und Paone nicht nur die Möglichkeit, ihre eigenen Chefs in ihrem Traumjob zu sein, wie Paone in ihrem Referat erklärte. Sie wollen mit ihrer Arbeit zur Medienvielfalt im Raum Basel beitragen. «Wir sind stolz, das Werk von Peter Knechtli weiterführen zu können», sagte Paone sichtlich erfreut, als wolle sie am liebsten gleich loslegen.
Nutzerzahlen sollen um ein Drittel steigen
Inhaltlich setzt man auf Hintergrundberichte, Reportagen, Porträts und modernes Storytelling, ergänzt durch neue Formate wie Podcasts. Darüber hinaus werde eine Zusammenarbeit mit der Newsplattform Nau.ch getestet. Kommerziell werde Bewährtes beibehalten. Mit neuen Produkten sowie Werbemöglichkeiten im Newsletter und auf den sozialen Medien sollen zusätzliche Ertragsquellen erschlossen werden. Pro Monat erreicht OnlineReports 30’000 Nutzerinnen und Leser. In den nächsten zwei Jahren wollen Paone und Amsler die Reichweite auf 40’000 Personen steigern. Helfen soll hierbei neben den neuen Formaten auch eine Modernisierung der Webseite. Derzeit glänzt diese noch mit einem Retrodesign aus der Jahrtausendwende. Mit den Basler Zeitungen der grossen Häuser Tamedia und CH Media sowie den Lokalmatadoren Tele Basel, Bajour.ch und Primenews tritt das Team zudem gegen finanziell wie technisch starke Mitbewerber am Rheinknie an.
Viel Arbeit vor sich
Die Herausforderungen sind also gewaltig, genauso wie der Enthusiasmus, mit dem Paone die Besucherinnen und Besucher in Zürich ansteckte. Die Herzen der Gäste vor Ort hatte sie jedenfalls gewonnen – wie wohl bald auch jene des Basler Publikums.
BAKOM-Direktor Bernard Maissen über die Zukunft der Medienförderung
Cash, Money und Kohle sind die drei wichtigsten Bedürfnisse der Medienindustrie und zugleich ihre grössten Herausforderungen. Abhilfe schaffen sollte das Massnahmenpaket für die Medienförderung. Das wurde jedoch an der Urne vom Stimmvolk abgelehnt. Dennoch tut sich etwas in Bundesbern. BAKOM-Direktor Bernard Maissen kam persönlich nach Zürich, um den Gästen einen Überblick über aktuelle Initiativen, Postulate und Vorstösse in Sachen Medienförderung zu verschaffen:
- Die parlamentarische Initiative Bulliard-Marbach (22.423) sieht eine Erhöhung der Beträge für die indirekte Presseförderung vor, insbesondere für die Lokalpresse und die Stiftungs- und Mitgliedschaftspresse. Zudem soll eine Finanzierung für die Frühzustellung der Lokalpresse eingerichtet werden.
- Die parlamentarische Initiative Bauer (22.407) zielt darauf ab, den Abgabenanteil für lokales Radio und Fernsehen (RTV) von 4 bis 6 Prozent auf 6 bis 8 Prozent zu erhöhen. Derzeit beläuft sich dieser Anteil auf 6 Prozent und entspricht einem Betrag von 81 Millionen Franken.
- Die parlamentarische Initiative Chassot (22.417) schlägt allgemeine Fördermassnahmen für alle elektronischen Medien vor, einschliesslich journalistischer Aus- und Weiterbildung, Presserat und Nachrichtenagenturen. Die Finanzierung dieser Massnahmen soll auf maximal ein Prozent des Abgabenanteils begrenzt sein, was etwa 14 Millionen Franken entspricht.
- Das Postulat Pult (20.3949) diskutiert Szenarien für die Versorgung mit Dienstleistungen, erbracht von Nachrichtenagenturen. Der Bundesrat hat einen Bericht zu diesem Thema verabschiedet, wobei die Bedeutung einer nationalen Nachrichtenagentur in allen Landessprachen als unbestritten angesehen wird. Es werden daher verschiedene Szenarien erwogen, darunter staatliche Unterstützung im bisherigen Umfang, eine moderate Erhöhung der Förderung oder die Ausschreibung eines Leistungsauftrags.
- Das Postulat Christ (21.3781) zielt darauf ab, eine strategische Medienförderung zu entwickeln, die kanalunabhängig ist. Ein Bericht hierzu wird im Frühling des kommenden Jahres erwartet.
Fazit: Es geht voran!
Das Parlament setze die Medienförderung fort unter Berücksichtigung der Lehren aus dem gescheiterten Massnahmenpaket, fasste Maissen abschliessend zusammen. «Man muss das Rad nicht neu erfinden, aber ein neues Rad montieren», brachte es der BAKOM-Direktor auf den Punkt.